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Mal wieder: Massenhafte Abmahnungen sind Rechtsmissbrauch (LG Dresden)

Im Vergleich mit der Situation vor einigen Jahren sind massenhafte Abmahnungen eines einzelnen Abmahners eher selten geworden. Hintergrund ist, dass die Rechtsprechung hinsichtlich einer Rechtsmissbräuchlichkeit sehr viel strenger geworden ist. Massenabmahnungen fallen zudem schnell auf, da ein Informationsaustausch unter Rechtsanwälten, die Abmahnungen beraten, schnell Auffälligkeiten zu Tage treten lässt.

Dennoch gibt es sie immer noch, die massenhaften Abmahnungen mit zum Teil erheblichen finanziellen Auswirkungen.

Ein besonders drastisches Beispiel hat aktuell das Landgericht Dresden entschieden, dass sehr deutliche Worte gefunden hat (LG Dresden, Urteil vom 05.02.2015, Az: 4 KHO 1/14 EV – zur Rechtskraft ist nichts bekannt).

Lassen wir die deutlichen Worte des Gerichtes für sich sprechen:

Die Anträge sind unzulässig. Der Verfügungsbeklagte hat glaubhaft gemacht, dass die Geltendmachung der Unterlassungsansprüche rechtsmissbräuchlich ist, § 8 Abs. 4 UWG.

Rechtsmissbräuchlichkeit liegt vor, wenn die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen sachfremde Interesse überwiegen. Ein Missbrauch ist dann anzunehmen, wenn sich die Abmahntätigkeit verselbstständig hat. Davon kann ausgegangen werden, wenn die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht und bei objektiver Betrachtung kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse außer dem Gebühreninteresse bestehen kann.

Bei der gebotenen Einzelfallprüfung ist zunächst zu Gunsten des Verfügungsklägers zu berücksichtigen, dass eine Vielzahl von Abmahnungen für sich genommen noch kein durchgreifendes Indiz für die Annahme von Rechtsmissbrauch darstellt, zumal, was der Ausgang der vom Verfügungskläger angestrengten Gerichtsverfahren zeigt, die Beanstandungen des Verfügungsklägers in der Sache überwiegend zutreffend sind.

Anmerkung: So ist es meistens. Vielfache Abmahnungen machen nur dann Sinn, wenn es inhaltlich, d. h. an der Berechtigung der Unterlassungsansprüche nicht viel auszusetzen gibt. Umso interessanter wird natürlich eine Massenabmahnung, wenn diese ein Thema abgrast, das außerhalb des üblichen liegt, wie bspw. bestimmte Aspekte einer Produktkennzeichnung.

Es geht weiter im Urteil:

Allerdings hat die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen durch den Verfügungskläger im Verhältnis zu seinem Gewerbebetrieb ein derart krasses Ausmaß angenommen, dass sachfremde Geltendmachung sehr nahe liegt und deshalb als glaubhaft gemacht anzusehen ist.

Dies ergibt sich aus Folgendem:

1.
Beim Verfügungskläger handelt es sich um einen Kleingewerbetreibenden.

Das ist selbst dann anzunehmen, wenn man seine – bestrittenen – Angaben zum Umfang seiner Geschäftstätigkeit zu Grunde legt. Danach hat er eine Mitarbeiterin und betreibt die Geschäfte aus seinem teilfinanzierten, eingeschossigen Haus, in welchem er auch wohnt. Für das Jahr 2013 betrug der Umsatz … Euro, bei einem Gewinn vor Steuern in Höhe von … Euro. Auch wenn sich die Geschäfte in dem Jahr 2014 in den ersten fünf Monaten bis Mai nach Angaben des Verfügungsklägers besser entwickelt zu haben scheinen, ist der Verfügungskläger damit gleichwohl noch als Kleinunternehmer anzusehen.

Anmerkung: Der Verfügungskläger hat in der Vergangenheit auch Vertragsstrafen geltend gemacht und hierbei im Rahmen eines Vergleiches eine nicht unerhebliche Summe erzielt. “Das ist eine Summe, die Dreiviertel des im Jahr 2013 behaupteten Gewinns vor Steuern ausmacht”, so das Gericht. Es spricht natürlich für sich, wenn der Gewinn eines Unternehmers, aus dem er letztlich seine Abmahnverfahren finanziert, sich überhaupt erst aus den Abmahnverfahren ergibt.

Weiter im Urteil:

2.
Der Verfügungskläger hat allein im Jahr 2014 mindestens 100 Abmahnungen ausgesprochen und hierzu Dutzende von Gerichtsverfahren mit hohen Streitwerten auf dem ganzen Gebiet der Bundesrepublik geführt. Er hat allein in diesem Zeitraum Vertragsstrafenansprüche in Höhe von insgesamt mindestens 154.300,00 Euro geltend gemacht.

Dass die vom Verfügungskläger selbst angegebenen 60 Abmahnungen im Jahr 2014 zu wenig sind, ergibt sich vor allem aus der mit Anlage … von der Verfügungsbeklagten vorgelegten Aufstellung von 96 Vorgängen über Abmahnungen und Gerichtsvorgänge allein aus dem Jahr 2014.

Der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers hat in der mündlichen Verhandlung zwar schlüssig dargelegt, dass bei der Aufstellung mehrerer Einträge nicht gerechtfertigt sind (z. B. unzulässige Aufspaltung einiger Vorgänge, Urheberrechtsstreitigkeiten, etc.). Anderseits ist die Liste aber sehr unvollständig, weil zahlreiche Verfahren nicht aufgeführt sind, da sie dem Ersteller der Liste nicht bekannt waren.

Anmerkung: Nun wird es spannend, da das Landgericht aufführt, was ihm eigentlich bekannt ist:

So ist in der Liste für das Landgericht Dresden nur ein einziges Verfahren aufgeführt, nämlich das Verfahren … . Tatsächlich hat der Verfügungskläger im Jahr 2014, was sich dem Gerichtscomputer entnehmen lässt, noch sieben weitere Verfahren beim Landgericht geführt … Dazu kommen zwei Berufungsverfahren beim OLG Dresden, Abmahnungen im Landgerichtsbezirk Dresden, die nicht zu Gerichtsverfahren geführt haben, sind in der Liste nicht vermerkt.

Allein dieser vom Unterzeichner (gemeint ist der Richter) überprüfbare begrenzte Ausschnitt der Liste belegt, dass es sich bei der vorgelegten Liste lediglich um die Spitze eines Eisberges handeln kann. Die Annahme von mindestens 100 Abmahnungen erscheint deshalb auch dann gerechtfertigt, wenn in der Liste mehrere Positionen unberechtigt sein sollten.

Anmerkungen: Es folgen dann ganz persönliche Ansichten des Richters zum tatsächlich beispiellosen Abmahnverhalten:

3.
Vergleicht man die oben unter Nummer 1 und Nummer 2 aufgeführten Fakten, zeigt sich, dass der Verfügungskläger als Kleinunternehmer ein Abmahnverhalten pflegt, welches selbst bei großen Unternehmen und Großkonzernen nicht anzutreffen ist. Ein derartiges Vorgehen ist in der mehrjährigen gerichtlichen Praxis des Unterzeichners (gemeint ist der Richter) (von einem extremen Einzelfall, der eine andere Konstellation betrifft, abgesehen) absolut beispiellos. Allenfalls bekannte große Verbraucherschutzverbände, deren ständige satzungsgemäße Tätigkeit auf die Rechtsverfolgung von Wettbewerbsverstößen auf sämtlichen Gebieten gerichtet ist, zeigen ein solches wettbewerbsrechtliches Vorgehen.

Anmerkung: Das Gericht lässt es sich dann nicht nehmen, auch noch einmal zum Thema der Abmahnungen zu kommen, die diese Massenabmahnung erst möglich gemacht haben:

Der Verfügungskläger und/oder sein Anwalt hat/haben sich auf ein Spezialgebiet konzentriert, hierbei teilweise abgelegene europarechtliche Regelungen ausfindig gemacht und forscht/forschen ganz offenbar systematisch und zeitaufwendig nach Verstößen gegen diese Regelungen, um diese dann, selbst hochspezialisiert, hundertfach zu verfolgen und die gesamte Republik dutzendfach flächendeckend mit Gerichtsverfahren zu überziehen. Offenbar hat/haben der Verfügungskläger und/oder sein Anwalt hier eine “Marktlücke” entdeckt, die als selbständig sprudelnde Einnahmequelle finanziell systematisch ausgenutzt wird und die eigentliche Geschäftstätigkeit des Verfügungsklägers überlagert. Mit der Verfolgung schützenswerter Interessen hat dies nichts mehr zu tun.

Anmerkung: Dem letzten Satz stimmen wir vollumfänglich zu.

Gestattet sei noch die Anmerkung, dass hinsichtlich dieses Abmahners es noch weitere Urteile gibt, die einen Rechtsmissbrauch annehmen. Über die Rechtskraft derartiger Urteile ist uns nichts bekannt (sic!). Sollten Indizien bei einer vielfachen Abmahnung für einen Rechtsmissbrauch bestehen, liegen uns oftmals hierzu konkrete Informationen vor,  da wir zum einen mit anderen Kollegen in Kontakt stehen, zum anderen selbst umfangreich Abgemahnte beraten.

Wir beraten auch Sie.

Stand: 13.02.2015

Ihre Ansprechpartner: Rechtsanwalt Johannes Richard und Rechtsanwalt Andreas Kempcke

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