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Massenhafte Falschangaben bei Tauschbörsenabmahnungen: Wenn der Anwalt immer die Unwahrheit schreibt, ist dies nicht wettbewerbswidrig

Offensichtlich werden die Abmahnkanzleien, die regelmäßig Tauschbörsenabmahnungen aussprechen, immer dünnhäutiger. Ein aktuell veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 10.01.2013, Az.: I ZR 190/11) lässt tiefe Einblicke in die Abmahnindustrie zu:

Die Parteien haben jeweils Rechtsanwaltskanzleien. Die Klägerseite spricht Tauschbörsenabmahnungen aus, die Beklagtenseite, ebenfalls eine Rechtsanwaltskanzlei, berät und vertritt die Abgemahnten.

Die beklagte Rechtsanwaltskanzlei hat hierbei ein “auf das Massengeschäft ausgerichtetes Verfahren zur Mandatsanbahnung und -bearbeitung” eingesetzt (so der BGH wörtlich). Die Mandanten erhalten einen Mandantenfragebogen zur Ermittlung des Sachverhaltes. Dort wurde beim Mandanten abgefragt, ob der Mandant der Täter sei und ob der WLAN-Anschluss verschlüsselt sei. Diese Informationen sind für die Rechtslage und die Rechtsverteidigung in diesem Bereich sehr wichtig.

Textbausteine

Diese Kanzlei vertrat in 300 Verfahren Mandanten, die von der Klägerseite abgemahnt wurden. Grundsätzlich und wohl auch immer hat die Anwaltskanzlei, die die Abgemahnten vertrat, textbausteinartig geantwortet, ihre Mandanten hätten die Rechtsverletzungen nicht begangen und zu keinem Zeitpunkt urheberrechtlich geschützte Werke geltend gemacht.

Testanfragen

Die Abmahnkanzlei wurde misstrauisch und beauftragte 6 Personen, die sich als Abgemahnte gegenüber der anderen Kanzlei ausgaben. Diese – Pseydo-Abgemahnten – gaben gegenüber der sie vertretenen Kanzlei an, sie hätten selbst die Dateien heruntergeladen und würden über einen verschlüsselten WLAN-Anschluss verfügen. Der verschlüsselte WLAN-Anschluss macht es in der Praxis eher unwahrscheinlich, dass sich jemand von außen in den Internetzugang der Abgemahnten gehackt hat.

Mit anderen Worten: Die vermeintlichen Mandanten räumten gegenüber ihrem Anwalt ein, die “Täter” der Urheberrechtsverletzung gewesen zu sein.

Offensichtlich gab es für diesen Fall keinen Textbaustein, da die sie vertretene Anwaltskanzlei auch in diesem Fall (wahrheitswidrig) behauptete, dass deren Mandanten mit der Sache nichts zu tun hätten.

Der Textbaustein lautete offensichtlich wie folgt:

“(…) In diesem Zusammenhang teilen wir Ihnen mit, dass unsere Mandantschaft zu keinem Zeitpunkt urheberrechtlich geschützte Werke öffentlich zugänglich gemacht hat. Allenfalls in Betracht kommt noch, dass ein Nachbar die gesicherte WLAN-Verbindung unserer Mandantschaft umgangen hat und so die Urheberrechtsverletzung begangen hat. Unsere Mandantschaft hat jedenfalls alles Erforderliche getan, um ihren Anschluss entsprechend abzusichern. Insofern haftet sie hier auch nicht als (Mit-)Störer. Zum Ersatz des entstandenen Schadens ist unsere Mandantschaft, die die Tat nicht begangen hat, ohnehin nicht verpflichtet.”

Die Tauschbörsenabmahner-Kanzlei, offensichtlich erheblich genervt von diesen Textbausteinen, mahnte wettbewerbsrechtlich ab, gewann die erste Instanz, verlor die zweite und unterlag auch vor dem Bundesgerichtshof:

Anwalt, der die Unwahrheit schreibt, handelt nicht wettbewerbswidrig

Als Anspruchsgrundlage wurden u. a. folgende Normen geprüft:

§ 43 a Bundesrechtsanwaltsordnung (Grundpflichten des Rechtsanwaltes)

(3) Der Rechtsanwalt darf sich bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich verhalten. Unsachlich ist insbesondere ein Verhalten, bei dem es sich um die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten oder solche herabsetzenden Äußerungen handelt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben hat.

Des Weiteren wurde § 263 StGB (Betrug) in Verbindung mit einem Vorsprung durch Rechtsbruch (§ 4 Nr. 11 UWG) als Prüfungsmöglichkeit herangezogen sowie eine mögliche Irreführung.

Fakt ist jedenfalls, so liest sich das Urteil, dass die die Abgemahnten vertretende Anwaltskanzlei textbausteinartig wohl immer behauptet hatte, ihr Mandant hätte mit der Tauschbörsennutzung nichts zu tun und zwar selbst dann, wenn durch das Ausfüllen des Mandantenfragebogens die ganz klare Information vorlag, dass dies so nicht zutreffend sei.

Lügen ist nicht wettbewerbsrechtlich relevant

Dieses Verhalten mag strafrechtlich relevant sowie auch berufsrechtlich unzulässig sein, wettbewerbswidrig ist es nach Ansicht des BGH nicht:

Wenn wir die Entscheidung richtig verstehen, scheitert es bereits an der geschäftlichen Handlung.

“Ein Rechteinhaber werde jedoch durch das Antwortschreiben der Beklagten nicht in seiner Entscheidung beeinflusst, anwaltliche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen.”,

so der BGH.

Nach Ansicht des BGH hat auch die die Abgemahnten beratende Kanzlei, die hier verklagt wurde, nicht deshalb wahrheitswidrig den Urheberrechtsverstoß geleugnet, um bereits gewonnene oder potentielle Mandanten zu gewinnen. Es handelt sich jedoch um eine Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages, was in diesem Zusammenhang jedoch im Verhältnis zwischen den beiden Rechtsanwaltskanzleien unerheblich ist. Die inhaltlich falsche Antwort der Anwaltskanzlei der Tauschbörsen-Abgemahnten ist nach Ansicht des Gerichtes ferner auch nicht dazu geeignet, geschäftliche Entscheidungen möglicher zukünftiger Mandanten zu beeinflussen.

“Es könne nicht angenommen werden, dass die Beklagte die ihr vorgeworfene Bereitschaft zur anwaltlichen Lüge dazu einsetzen werde, um neue Mandanten zu gewinnen. Dies setze voraus, dass diese Bereitschaft publik gemacht werde, woran der Beklagten nicht gelegen sein könne. Auch die Klägerin selbst gehe nicht davon aus, dass dies nicht der Fall sei.”

Mit anderen Worten: Es wurde offensichtlich nicht sinngemäß mit “Wir lügen für Sie” geworben. Dies wäre ohne Wenn und Aber sicherlich wettbewerbswidrig gewesen. Das reine Verhalten des Rechtsanwaltes im Rahmen des Mandatsverhältnisses, nämlich ein ganz bewusster Falschvortrag, ist jedoch wettbewerbsrechtlich nicht relevant.

In der Revision hatte die Tauschbörsenabmahner-Kanzlei vorgebracht, ein Mandant werde sich auch zukünftig an die Beklagte wenden oder diese empfehlen, wenn er merke, dass durch schlicht falschen Vortrag Schadenersatzansprüche abgewendet werden könnten. Dies war jedoch in dieser Form offensichtlich nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Der BGH hielt es zwar für möglich, dass der Rechteinhaber auf Grund der Aussage seine Ansprüche nicht weiterverfolgt. Diese Folgen seien jedoch bloße “Reflexwirkungen”. Betroffen sein könnte möglicherweise der Rechteinhaber, nicht jedoch die abmahnenden Rechtsanwälte im Rahmen des Wettbewerbsverhältnisses.

Irreführung durch Unterlassen?

Der BGH prüft ferner eine Irreführung durch Unterlassen. Um was es hier eigentlich genau geht, bleibt etwas unklar. Mutmaßlich könnte es um die Aufklärungspflicht des Rechtsanwaltes gehen, dass er nämlich im Namen seines Mandanten gegenüber der Gegenseite falsche Tatsachen behauptet und dies offensichtlich grundsätzlich.

Nach Ansicht des BGH, der ganz offensichtlich unwillig war, in dieser Sache positiv zu entscheiden, kann man im Übrigen nicht von einer systematischen Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages ausgehen, da die Klägerin nur 6 Testfälle vorgetragen habe. Dies ist schon heftig, da normalerweise ein einziger Verstoß ausreichend sein kann, einen Wettbewerbsverstoß nachzuweisen. Interessant auch zu lesen, wie sich die Kanzlei, die die Abgemahnten vertreten hat, aus der Angelegenheit herauswindet:

Bei 3 Testmandaten hatte die Beklagte eingeräumt, dass die Angaben im Mandantenfragebogen oder in einer begleitenden Email nicht berücksichtigt worden seien, Unterlagen seien nicht in der Akte gewesen, der Mandantenfragebogen sei gar nicht eingegangen. Im letzteren Fall stellt sich schon die Frage, was dann eigentlich Sachverhaltsgrundlage für die Vertretung war. Nach Ansicht des Landgerichtes in der ersten Instanz handelt es sich im Verhältnis zu den Gesamtfällen um “Ausreißer”.

“Jedenfalls ist es fernliegend, auf diese wenigen Einzelfälle die Annahme einer von vornherein systematisch und planmäßig auf eine Verletzung der Wahrheitspflicht gerichteten Mandatsbearbeitung zu stützen.”

Ob dies tatsächlich so ist, erscheint zweifelhaft, da es in dem Mandantenfragebogen offensichtlich zwar die Möglichkeit gab, Besonderheiten anzugeben, auf der anderen Seite hieß es dort jedoch auch:

“Wir werden den Sachverhalt prüfen und dann eine abgewandelte Unterlassungserklärung für Sie abgeben. Gleichzeitig können wir der Gegenseite mitteilen, dass sie die Urheberrechtsverletzung hier nicht begangen haben.”

Wir können nur vermuten, dass grundsätzlich modifizierte Unterlassungserklärungen abgegeben und weitergehende Ansprüche (Erstattung von Anwaltskosten sowie Schadenersatz) mit dem oben genannten Textbaustein zurückgewiesen wurden.

Dass dies natürlich, insbesondere wenn die Textbausteine identisch sind und 300 Verfahren zwischen den Parteien anhängig sind, zu hektischen Flecken im Gesicht der abmahnenden Kollegen führt, erscheint nachvollziehbar.

Letztlich wirft die Entscheidung ein Schlaglicht auf alle Beteiligten der Abmahnindustrie bei Tauschbörsenabmahnungen:

Die wohl mittlerweile gesteigerte Bereitschaft, Kosten nicht zu erstatten, jedoch auf der anderen Seite eine modifizierte Unterlassungserklärung abzugeben, führt für die in diesem Bereich abmahnenden Anwaltskanzleien dazu, dass diese immer mehr um ihr Geld kämpfen müssen, um das es ja schließlich an dieser Stelle geht.

Die ganze Angelegenheit hätte man durchaus anders entscheiden können. Nach unserer Auffassung wird durch diese BGH-Entscheidung deutlich, dass die massenhaften Tauschbörsenabmahnungen nicht als schutzwürdig einzuordnen sind. Die kommende Gesetzesänderung, die die Erstattungsansprüche für Abmahnkosten bei Tauschbörsenabmahnungen erheblich einschränken wird, spricht hier eine ganz klare Sprache.

Andererseits….

Die Behauptung der Rechtsanwälte, die Tauschbörsenabmahnungen aussprechen, es bestände ein Annspruch auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten und Schadenersatz dürfte auch nicht immer der Wahrheit entsprechen. Wir wir jetzt wissen, könnte auch dies nicht abgemahnt werden.

Stand: 17.07.2013

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Johannes Richard

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